„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Artikel 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“„Jeder Mensch hat das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf durch innerstaatliche Maßnahmen [...] in den Genuss der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.“
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
„Gesundheit ist für alle Bürger der Welt ein grundlegendes Menschrecht“
Werte und Grundsätze der Weltgesundheitsorganisation
"Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen [...], um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. [...]"
§ 1 SGB IX
Diese menschlichen Rechte macht die Aidshilfe Gießen zur Grundlage ihrer Arbeit. Sie postuliert ein Recht auf Gesundheit und Teilhabe an gesundheitsfördernden Ressourcen, auf soziale Sicherheit und die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen zur freien Entfaltung der Persönlichkeit. Die Aidshilfe Gießen handelt damit aus einer humanistischen Grundeinstellung heraus und weist alle Denkmuster zurück, die dem humanistischen Menschenbild widersprechen. Sie wendet sich gegen die Entwertung menschlicher Grundrechte durch zunehmende Kommerzialisierung und Ökonomisierung.
Die Aidshilfe Gießen hat also eine alle Lebensweisen und -entwürfe einbeziehende weltoffene Grundhaltung und lebt diese auf allen Ebenen ihres Wirkens. Sie reflektiert bestehende gesellschaftliche Machtgefälle und wirkt ihnen entgegen.
Partizipation der Nutzer*innen, der Mitglieder, des Vorstandes, des Gemeinwesens und der Kooperationspartner*innen ist gewollt und möglich. Kompetenzen und Interessen von Betroffenen, von Institutionen, Selbsthilfegruppen und Gruppierungen, die die Interessen unserer Zielgruppen vertreten, werden in die Arbeit einbezogen.
Damit lädt die Aidshilfe Gießen für die Ausgestaltung des Wirkens und Handelns auf allen Ebenen zu Teilhabe und Mitgestaltung ein. Zu diesem Zweck hat sich die Aidshilfe Gießen die Rechtsform eines eingetragenen Vereins gegeben. Sie arbeitet vernetzt und versteht sich als Teil einer sozialen Bewegung.
Die Aidshilfe Gießen erhebt im Umgang mit den Nutzer*innen keinen Alleinvertretungsanspruch, sondern schätzt die Kompetenz der externen Kooperationspartner*innen und bildet stabile Arbeitsbündnisse auf der Basis von Gleichberechtigung soweit dies im Einzelfalle von den Nutzer*innen gewünscht ist.
Selbstbestimmung und die freie Entfaltung der Persönlichkeit - gesundheitlich, sexuell und in den individuellen Vorstellungen von Glück und gelingendem Leben – werden von der Aidshilfe Gießen geachtet und gefördert. Sie sieht die Grenzen der Selbstbestimmung nur in der Selbstbestimmung und Würde anderer Menschen gesetzt, nicht aber in gesellschaftlichen Erwartungen.
Die Weltgesundheitsorganisation definiert Gesundheit als „einen Zustand des völligen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur (als) das Freisein von Krankheit oder Gebrechen“[1]. Für die Aidshilfe Gießen sind Gesundheit oder Krankheit nicht alleine an medizinischer Diagnostik festzumachen. Zum Gesundheitsbegriff zählt die Aidshilfe Gießen auch die selbstbestimmte und individuelle Vorstellung von Gesundheit, entsprechend der Ottawa Charta, nach der "Gesundheitsförderung auf einen Prozess zielt, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. sie verändern können. In diesem Sinne ist die Gesundheit als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel. Gesundheit steht für ein positives Konzept, das die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit ebenso betont wie die körperlichen Fähigkeiten. Die Verantwortung für Gesundheitsförderung liegt deshalb nicht nur bei dem Gesundheitssektor, sondern bei allen Politikbereichen und zielt über die Entwicklung gesünderer Lebensweisen hinaus auf die Förderung von umfassendem Wohlbefinden"[2]
Die Aidshilfe Gießen versteht ihr Wirken als beständige gesellschaftspolitische Arbeit gegen Phänomene wie Ausgrenzung, Intoleranz und Diskriminierung. Sie sieht sich als Gegenbewegung zur Tabuisierung des Themas HIV / AIDS. Das Virus, die Erkrankung und der (soziale) Umgang damit bleiben als Themen in der Gesellschaft präsent und die Aidshilfe Gießen bewahrt und pflegt das geschichtlich relevante Geschehen und die daraus gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse. Aufgrund ihres (Selbst-)Verständnisses und der gesellschaftlichen Entwicklung hat die Aidshilfe Gießen ihr Wirken und ihre Ziele auf die LSBT*IQ+-Communities ausgedehnt und für diese Zielgruppen das lebensweltnahe Hauschildzentrum gegründet.
Die Aidshilfe Gießen ist sich (eigener) hierarchischer Deutungsmuster bewusst und begegnet ihnen aktiv. Sie lebt intersektionale Achtsamkeit und sieht diese als Grundlage ihres Tuns.
Mit ihrem strukturellen Präventionsansatz ist die Aidshilfe Gießen dem Konsens in der Weltgesundheitsorganisation entsprechend gesundheitspolitisch und -wissenschaftlich in das Konzept lebensweltorientierter Gesundheitsförderung[3] eingebunden. Strukturelle Prävention bzw. Verhältnisprävention bezeichnet auf gesellschaftspolitischer Ebene das Einwirken auf diejenigen gesellschaftlichen Strukturen, die dem Schutz vor Infektionen und gesundheitsförderlichen Lebensbedingungen entgegenstehen.
Die Aidshilfe Gießen ist parteilich mit ihren Zielgruppen und tritt Ausgrenzungs-, Entwertungs- und Gewaltstrukturen aktiv entgegen.
Die Arbeit der Aidshilfe Gießen ist getragen von der Idee der Lebensweisenakzeptanz, die mit der Gründungsgeschichte der Aidshilfen verbunden ist.
Die Grundhaltung der Mitarbeiter*innen zeichnet sich durch Empathie, radikale, gemeinsame Akzeptanz und unbedingtes Wohlwollen gegenüber den Nutzer*innen aus. Die Beratungsformen orientieren sich an der Lebenswirklichkeit derer, die Beratung aufsuchen. Lebensweisenakzeptanz ist eine ethische und pragmatische Notwendigkeit in der Beratungsarbeit der Aidshilfe Gießen. Sie ist Voraussetzung gelingender Prävention und Beratung, da Wege aus Krisen nur im Kontext persönlicher Wirklichkeit, persönlicher Bedürfnisse und Wünsche denkbar sind. Die Arbeit soll die Nutzer*innen in ihrer Lebensgestaltung stärken und zu ihrer Emanzipation beitragen. Die Beratung steht allen offen, unabhängig von u.a. Geschlecht, sexueller Orientierung, Ethnie (insbesondere Kultur, Sprache, Heimat und Herkunft), religiöser und politischer Anschauungen, Spiritualität, Milieu (insbesondere wirtschaftlicher Lage, sozialer Stellung, Bildung), Körper, Alter, Krankheit. Diskriminierung beeinträchtigt Lebensqualität und erschwert einen selbstbestimmten Umgang mit Risiken und Erkrankungen. Die Aidshilfe Gießen betrachtet es als ihre Aufgabe, an der Schaffung von Angeboten, Strukturen und Alternativen mitzuwirken, die Chancen für eine wirkliche Wahl der Lebensweise bieten. Hierbei steht die Emanzipation und die Befähigung zur Selbsthilfe im Vordergrund. Die Lebenswirklichkeit der Nutzer*innen wird in den Selbsthilfekontext einbezogen. Hierzu gehören auch die soziale Wahlfamilie, Communities und Subkulturen. Die Nutzer*innen werden in ihren Interessen und Kompetenzen unterstützt und in die Arbeit am Beratungserfolg im Sinne des Empowerments einbezogen.
Die Aidshilfe Gießen setzt auf kompetente Aufklärung und die Eigenverantwortung der Nutzer*innen. Das Agieren mit bewussten oder unbewussten Ängsten ist für die Aidshilfe Gießen keine adäquate Methode.
Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung von Handlungsautonomie, also die Kompetenzen, eigenständig zu bewerten, zu urteilen, zu entscheiden und zu handeln, haben einen hohen Stellenwert in ihrem Beratungskonzept.
Organisationsstruktur
Vorstand, haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter*innen handeln nach einem gemeinsamen Arbeitskonzept in den Verbandstraditionen und Leitbildern der Aidshilfe-Bewegung und stimmen ihre Aktivitäten miteinander ab. Die Vorstandsmitglieder stehen den haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen bei der Durchführung ihrer Aufgaben beratend zur Seite. Konkrete Arbeitsinhalte, aktuelle Schwerpunkte und deren Umsetzung werden zunächst vom Team vorstrukturiert und als Arbeitskonzept mit dem Vorstand abgestimmt.
Die Handlungskompetenz liegt bei den einzelnen Mitarbeiter*innen. Arbeitsbereiche werden verantwortlich an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter*innen delegiert. Die hauptamtlichen Mitarbeiter*innen arbeiten als Team zusammen. Die Aidshilfe Gießen ist hierarchisch organisiert, wobei es sich um eine Funktionshierarchie handelt, die die kollegiale und auf Kooperation zielend Arbeit strukturiert. Die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten sowie die Inhalte delegierter Arbeitsbereiche sind transparent.
Daraus folgt insgesamt ein hohes Maß an Eigenverantwortung. Eigene Wertvorstellungen können innerhalb der Aidshilfe Gießen gelebt werden solange sie nicht gegen grundlegende Leitgedanken verstoßen.
Die Organisation des Arbeitsplatzes sowie die Arbeitsplatzgestaltung obliegt im Rahmen der bestehenden Ressourcen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich um eine professionelle Beratungsstelle, u.a. auch für Jugendliche handelt, den Mitarbeiter*innen. Die optimale Ausgestaltung des Arbeitsumfeldes wird so gewährleistet, dass zum einen gesundheitliche Beeinträchtigungen vermieden und zum anderen eine angenehme Arbeitsatmosphäre geschaffen wird. Grundsätze ergonomischen Arbeitens werden berücksichtigt.
Die Aidshilfe Gießen weiß um die besondere Bedeutung der zwischenmenschlichen Tätigkeit für die Mitarbeiter*innen. Beziehungsarbeit bildet das zentrale Moment der Arbeit mit den Nutzer*innen. Kongruenz und unbedingtes Wohlwollen sind wesentliche Voraussetzungen dafür, dass diese Beziehungsarbeit gelingen kann. Sie erkennt die persönliche Begrenztheit im Rahmen professioneller Beziehungsarbeit an und stellt aufgrund ihrer Fürsorgepflicht den Mitarbeiter*innen alles Notwendige zur Verfügung, diese herausfordernde Arbeit leisten zu können.
Die Aidshilfe Gießen bleibt offen für neue Themen und Fragestellungen, die sich in gesellschaftlichem Zusammenhang mit einem verantwortungsvollen, individuellen, wie auch gemeinschaftlichen Umgang mit HIV/AIDS, STIs, LSBT*IQ+ sowie ihren Kernzielen ergeben.
Für eine gesicherte satzungsgemäße und institutionelle Aufgabenbewältigung bestehen innerhalb der Aidshilfe Gießen fortlaufend Prozesse der Organisationsentwicklung und Qualitätssicherung. Auf der Ebene der Mitarbeiter*innen wird die Qualität der Arbeit der Aidshilfe Gießen durch ständige Weiterentwicklung und Reflektion gesichert. Dazu gehören sowohl die Möglichkeit an Supervision und Fortbildungen teilzunehmen als auch der fachliche und kollegiale Austausch zwischen ehrenamtlichem Vorstand sowie haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen.
Das Handeln der Aidshilfe Gießen orientiert sich an anerkannten pädagogischen und sozialarbeiterischen Konzepten, die insbesondere auf die Hilfe zur Selbsthilfe gerichtet sind. Es ist gebunden an die Leitbilder und Verbandstraditionen der bundesweiten wie auch der hessischen Aidshilfe Bewegung und an die vom Bundesverband wie auch dem Landesverband entwickelten Arbeitsstandards und Leitlinien, an deren Fortentwicklung sich die Aidshilfe Gießen beteiligt.
[1] Erklärung der Menschenrechte.
Im Internet zu finden unter: http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/windexde/TH2004001
[2] Weltgesundheitsorganisation, Werte und Grundsätze der „Gesundheit für alle“
Im Internet zu finden unter http://www.euro.who.int/AboutWHO/20021122_3?language=German
[3] Präambel der Satzung der Weltgesundheitsorganisation
Im Internet zu finden unter http://www.euro.who.int/AboutWHO/20021122_3?language=German
[4] Ottawa Charta von 1986
Im Internet zu finden unter http://www.euro.who.int/AboutWHO/Policy/20010827_2?language=German
[5]Ottawa Charta 1986
Im Internet zu finden unter http://www.euro.who.int/AboutWHO/Policy/20010827_2?language=German